Leopold Schwarzschild an Elisabeth und Bruno Frank
auf dem Schiff in die Vereinigten Staaten von Amerika, 7. September 1940

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Original: Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek. München.

 
 
 

7.9.40

Liebe Franks,

Nach Abenteuern verschiedener Art sitze ich auf diesem Schiff und beginne mir langsam über das unverhoffte Wunder klar zu werden, das mir über Nacht in Gestalt des Visums nach U.S.A. und dieser Überfahrt zuteil geworden ist.

Eine grosse Dankbarkeit ist in mir für alle Urheber dieses Wunders; und da zu ihnen, wie Erika Mann mir verriet, vornan und vor allem Ihr gehört, möchte ich Euch das sagen. Noch weiß ich nicht, welchem Zweck es dienen soll, daß ich meinem fast gewissen Ende entrissen und an den Strand eines völlig ungewissen Lebens geworfen worden bin. Aber was immer daraus werden wird, ohne Euch wäre wahrscheinlich alles aus gewesen, für mich und viele andre; und ich habe genug von der allgemeinen Verzweiflung und dann vom Wieder-Erwachen der Hoffnungen gesehen, um das Sprachrohr aller derjenigen sein zu können, denen durch Euch und Eure Freunde in den schwärzesten Tagen wenigstens eine Möglichkeit des Entrinnens eröffnet worden ist, obwohl viele in Wirklichkeit noch nicht zu entrinnen vermochten.

Woran das liegt – zum Beispiel im Falle der Polgars – wißt Ihr wahrscheinlich. Es liegt daran, dass demjenigen, der mit allen Ein- und Durchreisevisen versehen ist, die Franzosen schliesslich nicht mehr das Ausreisevisum geben, – und dass die meisten unsrer Freunde zu gebrochen und verprügelt sind, um noch das kleine Risiko zu wagen, das in der "schwarzen" Ausreise auf einem der zahlreichen dafür möglichen Wege liegt. So sind die Polgars, die uns unmittelbar folgen wollten, während unsrer 14 Warte-Tage in Lissabon tatsächlich nicht dort erschienen und vermutlich gar nicht aus Marseille abgereist, – und inzwischen ist als neue grosse Schwierigkeit eine vollkommene Grenzsperre in Spanien hinzugekommen. Sie wird hoffentlich nur temporär sein, – aber man kann nicht verkennen, daß die Bedingungen fortschreitend unvorteilhafter werden, und manchmal frage ich mich, ob auch nur die Mehrzahl derjenigen, die gerettet werden sollten und gerettet hätten werden können, tatsächlich gerettet werden wird. Da ich in Lissabon einige Tage lang den Repräsentanten eines der beteiligten amerikanischen Committees vertrat, habe ich einen gewissen Überblick über die Sache und kann in New York nach meiner Ankunft die Mittel darstellen, die allein noch imstande sein werden, eine grössere Anzahl herauszubringen. Seien wir optimistisch und hoffen wir, dass das Notwendige noch getan werden kann. Es wäre tragisch, – obwohl es das Verdienst der Urheber nicht schmälern würde, – wenn die Aktion mittendrin, und sogar ziemlich am Anfang, stecken bliebe.

Aber vielleicht gibt es, bis dieser Brief mehrere Tage nach meiner Ankunft in New York bei Euch eintrifft, schon bessere Nachrichten. Ich stehe mit jeder Auskunft und zu jedem Dienst zur Verfügung. Wo ich in New York wohnen werde, weiß ich noch nicht; es ist eine der vielen Unbekanntheiten, die vor mir liegen, und gewiss die kleinste. Aber in der Zwischenzeit erreichen mich Nachrichten unter der Adresse S. M. Schwarzschild, New York-Brooklyn, 1359 51st str.

Nochmals Dank. Ich hoffe auf ein Wiedersehen, in dem auch Schatten aus den letzten Monaten, jetzt ignoriert, ganz und glücklich verschwinden werden. Und angesichts der furchtbar aufregenden Schiffsradio-Nachrichten: hoffen wir, dass England, die letzte Säule unsrer Welt, bis dahin noch steht.

In müder, wahrer, warmer Herzlichkeit

Euer
Schwarzschild