Alfred Neumann an René Schickele
Florenz, 1. Dezember 1934

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Original: Deutsches Literaturarchiv Marbach, mit freundlicher Genehmigung von Alfred Kim Guggenheim.

 

Florenz, I.XII.34

Neue Adresse:
Piazza Galileo Ferraris 2

Lieber Rene Schickele,

ich danke Ihnen recht herzlich für Ihre gute Meinung vom Neuen Cäsar. Und sehen Sie, die Sache mit dem Mond und den kleinen Gestirnen habe ich garnicht bemerkt. Sterne hin, Weltkörper her! mir ist nur wichtig, daß R.S. an dem Vicomte seine Freude hat und ihn sternenhafter Vergleiche würdigt.

Das Buch geht seinen recht erfreulichen Weg. Es wird Sie interessieren (weil es bei Ihren de-Lange-Büchern gleichfalls versucht werden soll, wie mir der überaus nette Landauer sagte), daß bisher das Experiment mit der für Deutschland bestimmten E.P.Tal-Ausgabe zu glücken scheint. Ich höre aus Berlin, München, Frankfurt, daß das Buch ganz lustig ausliegt, sogar im Schaufenster – und das ist schon mehr, als wir selber dachten. Die allgemeine Abscheu vor Blubo und soweiter scheint da mitzuspielen. Wie lange die Herrlichkeit dauert, ist natürlich eine andere Frage.

Ich las mit großer Bewunderung Ihr Lawrence-Buch, in dem mir nur Ihr Freundes-Wort fehlt. (Wenn ich Sie, wie ich hoffe, im März auf meiner "Kaiserreich"-Orientierungsfahrt nach Biarritz besuche, bringe ich es unerbittlich mit.) Was ich bei dieser liebevollen und in prachtvoller Art verärgerten Auseinandersetzung eines großen (sympathischen) Dichters mit einem großen (motorisch überdrehten, also nicht ganz sympathischen) Dichter ganz besonders liebe, ist natürlich die Kritik, die zugleich, über den thematischen Fall hinaus, eine neue Feststellung nicht nur Ihrer eigenen Anschauung, sondern auch Ihrer eigenen nicht wichtig genug zu nehmenden Aufgabe ist. Wer wie Sie, der Dichter, darf so gut und wahr die Grenze zwischen Dichter und Schriftsteller abstecken. (Und wie dankbar bin ich Ihnen für den Begriff des "Reaktionären", den Sie im Dichter-Sinn zu formulieren kühn und gütig genug sind! Wie sehr rühren Sie mit dem "politischen Tier" an mein persönliches Leid, das so alt ist wie meine Schaffens-Versuche!) Und der "akute" Höhepunkt der Arbeit ist die ganz herrliche Philippika gegen den Blut-Mythos, blutigen Mythos. Dies, und Ihre Worte für die "Quelle jeder Menschlichkeit". Das macht mich so froh für Sie und für uns, daß ich Ihre Trübsal und Ihr Feststecken beinahe wegzuzaubern vermochte, wäre ich bei Ihnen.

Ich aber, o Trübsal, muß am Montag für zehn Tage in eine Klinik und eine kleine, aber peinliche Operation durchmachen (Mastdarm-Fistel). Aber da ich jüngst – als Einziges von meiner Habe – meine Bibliothek bekommen habe, steht wieder einmal kleines Leid gegen kleine Freude.

Ihnen und Ihrer Frau alles Liebe von der meinen und
Ihrem
Alfred Neumann