Alfred Neumann an Hermann Kesten
Los Angeles, CA, 13. August 1941

Open

Open

Original: Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek. München, mit freundlicher Genehmigung von Alfred Kim Guggenheim.

13. August 1941

Lieber Hermann Kesten,

meinen schönsten Dank für Ihren Brief. Die Bestätigung dessen, was Eva L. schon düster raunte, hat mich recht aufgebracht. Man kommt da weder mit dem Undank als Weltlohn noch mit der olympischen Dummheit weiter. Es ist schon so, als vomierte das Exil allen Seelendreck. Da ich weiss, dass Thomas Mann zu denen gehört, die einen vollen Einblick in die Leistungen Ihrer raren Uneigennützigkeit und Hilfsbereitschaft haben, darf ich mit ihm bei unserm nächsten Zusammensein über die Affidavit-Frage sprechen.

Ich bin nun schon lange genug hier, um aus dem Freiheits-Frühlingsrausch heraus und in eine kühlere Betrachtung der Dinge hineingeraten zu sein. Das Resultat ist ziemlich sonderbar, zumal es ja eine Scheinwelt ist, auf die man den kühlen Blick richtet. Und die Sache wird ziemlich kompliziert, wenn man bemerkt, dass man selber – ganz wie von ungefähr – zu so etwas wie einer Potenz der Scheinwelt geworden ist, nämlich zu einer Scheinfigur der Scheinwelt. Die charity, die einen hergebracht hat, und die $100.– Wochenlohn, die sie vergibt, haben sich zu einem viciosen Kreis verschweisst, dergestalt, dass die unsichtbaren Götter der charity in der Office nur den 100 $-Mann sehen, der eben deshalb zu nichts nütze sein kann, weil er nur $100.– in der Woche kriegt. Und da hierzulande – hierzufilmlande – eine geradezu organische Leseangst grassiert – so als ob die Lese-Organe oder, wenn man boshafter noch sein will, die Lese-Kenntnis fehlten – tut man sich bei 100 $-Charity nun schon gar keinen Zwang an. Also: man ist zwar – aus ursprünglich mildtätigem Herzen – als writer angestellt und wird dafür gezahlt: aber das, was man beruflich und vertraglich schreibt, wird nicht gelesen. Man hört und sieht nichts mehr von dem, was man abgeliefert hat – man hört und sieht überhaupt niemanden. Man sitzt seine Zeit ab, Tag für Tag, und arbeitet natürlich für sich; aber da ich wohl gerne hinter dem Schreibtisch sitze, doch hinter dem eigenen, und durch die Bürozeit und ihre stille Sinnlosigkeit irritiert bleibe, ist noch nicht allzuviel für die eigene Arbeit herausgekommen. Bei alledem bleibt natürlich der Blick kühl genug, um festzustellen, dass eine leerlaufende charity immer noch besser ist als gar keine.

Nun noch etwas wegen Theodor Wolff. Ich bemühe mich hier seit langem, um das Fahrgeld für ihn und seine Frau aufzutreiben. Bisher ist es noch nicht geglückt, obgleich mir Lubitsch und Herald dabei helfen: die Kosten der Ueberfahrt sind sehr gross und die Gebefreudigkeit sehr klein geworden. Dazu kommen nicht aufzuklärende Verhältnisse mit Dr. Rieser, von dem Th. W. sagt, dass er für ihn einen Fond verwalte, der aber selber davon nichts weiss oder nichts wissen will. Wir haben hier ausgerechnet, dass heutzutage – zumal bei den exorbitant hohen Passagekosten spanischer oder portugisischer Schiffe, die wohl nur noch in Frage kommen, rund 2000 $ für zwei Personen für die Gesamtkosten Nice – NY aufzubringen wären. Davon können hier im allerbesten Fall 5–600 $ beschafft werden. Zuvor aber müssten die Eintreiber Herald und Lubitsch wissen, ob Th. W's Visum auch erneuert wird. Wenn ja, müsste überlegt werden, an welche Geldgeber herangegangen werden kann, um den übrigen Betrag zusammenzubekommen. Herald denkt da 1.) an New Yorker Pressekreise, z. B. an einen Mann wie Shirer vom Berlin Diary, der weiss, wer Th. W. war, und 2.) an Kommittees. Könnten Sie mir da Antwort und Ratschlag geben?

Seien Sie und Ihre Frau herzlich gegrüsst von der meinen und

Ihrem alten
Alfred Neumann