Annette Kolb an Hermann Kesten
Lissabon, 3. März 1941

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Original: Monacensia. Literaturarchiv und Bibliothek. München, mit freundlicher Genehmigung von Annette Mallin-Ryder.

 

zwar ist meine Adresse jetzt endlich Avenida Duque de Loulé 95 c/o Ferreira 5. Stock, aber P. R. folgt mir und ist nicht so complicirt

Poste Restante Central

3. III 41

Lieber Kesten

Ich danke Ihnen von Herzen für Ihren so freundlichen Brief. 44 Dollar von Frank kamen mir sehr zu Statten; falls ich, wie mir heute fast versprochen wurde (das ist der hiesige kleine Nervenkrieg) nächste Woche fahren kann dann schaff ich es gerade noch mit meiner Scudipracht. Auf diese letzte Klipper-Klippe war ich nicht vorbereitet und die jüngst ausgestandene Panik hat einen bitteren Erdenrest in mir zurückgelassen Entsetzlich ist es mir auch an den armen Hilferding zu denken, den "sie" auf freiem Felde so zu sagen gefasst und nach Paris verschleppten. Zu lange hat er sich von dem unheilvollen Breidscheit verleiten lassen zu warten. Beide wären besser tot. Hilferding aber war ein alter Freund und ein wertvoller Mensch. Der Gedanke an ihn ist mir grässlich. – Statt an das rescue und emergency Comité zu gehen ging ich heute ins Pan-American Air-Way-Office und machte Ihnen Vorstellungen wie gesagt. Aber das hindert dass ich bei den beiden anderen Comites noch vorsprechen könnte, nur frage ich mich ob der Eindruck nicht stärker wäre, wenn die genannten Comités, die Pan american air way aufmerkens machten, dass nachdem ich seit November den Clipper bestellte, es nicht angezeigt wäre mich ad infinitum hier zu lassen. Schiffsplätze gibt es nicht vor Mai und das Geld für den Clipper, das in Bern berappt bekomme ich hier nicht zurück, sondern nur die hier erlegten, d. h. nachgezahlten 100 Dollar. Damit bekomme ich keine Cabine. Ich sparte und verdiente mir in der Schweiz für den uns heftig angeratenen Clipper 425 Dollar zahlte hier noch 100 nach; unrecht wäre es mich dafür, wenn es zu spät geworden sein könnte, hinzuhalten. So kämpfe ich um meinen Clipper; aber da ich Franzosin bin denkt niemand, dass eventuell es auch hier zu spät werden könnte. Und wenn dies den Leuten klar gemacht würde, wären sie vielleicht nicht so harthörig. In den Hotels blüht hier die Gestapo die Herren von der Lufthansa schlagen ihre Zelte auf, es gibt hier mehr Deutsche als in der Schweiz. Daher wohl der Ansturm auf die Schiffe. Wenn wir als gerettete Venediger so Gott will zusammensitzen, erzähle ich Ihnen mehr. Sagen Sie doch Bermann ich hätte von Stockholm kein Sterbenswort und liess 10. Februar den Schluss des Schubert an den Verlag gehen so dass er ihn längst haben müsste. Ein Duplikat der letzten 12 Seiten behielt ich, den Rest hat der Verlag erhalten. Herzlichste Grüsse Ihrer lieben Frau und Ihnen hoffentlich auf Wiedersehen:

Kolb